Leserbrief zu: Zur Eröffnung der Pro-S 21-Kampagne – Unkritisch und uninformiert
Der Bericht von Peter Reinhardt über die Eröffnung der Pro S 21 Kampagne ist ein Musterbeispiel eines völlig unkritischen, recherchefreien und uninformierten Verlautbarungsjournalismus. Die Behauptung der Bahn, der Ausstieg koste 1,5 Mrd , wird nicht hinterfragt. Die Bahn kam auch schon auf fast drei MilliardenAusstiegskosten. So exakt scheint die Propaganda-Mathematik der Bahnplaner doch nicht zu sein. Eine Milliarde mehr oder weniger: was solls.
Nach einer kürzlichen Meldung des „Spiegel“ ging die Bahn 2009 intern von über 4,5Milliarden Euro Baukosten aus, gegenüber öffentlichkeit und Parlament wurden 2,8 Mrd verlautbart. Wie die gerne zitierten verbindlichen Verträge vor diesem Hintergrund überhaupt gültig sein können, ist mir schleierhaft.
In dem Artikel wird Bahnvorstand Kefer zitiert: „Wir betrachten den Stresstest als endgültig bestanden“, S 21 könne 49 Züge mit „wirtschaftlicher optimaler Betriebsqualität“ abfertigen. Was bedeutet dies aber konkret? Darüber klärt uns Peter Reinhardt leider auch nicht auf, obwohl es sein Job wäre.
Die in der Schlichtung vereinbarte „gute Betriebsqualität“ hätte Verspätungen abbauen können. „Wirtschaftlich optimal“ ist nach neuester Bahnterminologie dagegen ein Bahnhof, der Verspätungen eben nicht abbaut, sondern nur nicht vergrößert. Das ist der Trick: eine stümperhafte Planung, von der sich der ehemalige Chefplaner Acer schon längst verabschiedet hat, erhält für die zu verdummende öffentlichkeit einen positiv klingenden Aufkleber nach dem Motto „Optimal kann doch nicht so schlecht sein“.
Neusprech „wirtschaftlich optimal“ von Herrn Kefer bedeutet tatsächlich nach den Bahnplanungen:
1.Sechs Meter Gleisgefälle , das sind 15 Promille, obwohl nur 2,5 Promille überhaupt erlaubt sind und Doppelbelegungen von Gleisen aus Sicherheitsgründen bei Gefälle ganz verboten sind.
2. 10 Züge in der Stunde mit Haltezeiten von unter drei Minuten, der Rekord ist ein geplanter Zug mit einer sportlichen Haltezeit von 66 Sekunden!
3. Pro Bahnsteig existiert lediglich ein Aufzug. Behinderte oder Eltern mit Kinderwagen sind etwa im Falle eines Zugbrandes, wenn die Aufzüge nicht zu benutzen sind, völlig auf sich allein gestellt. Es gilt das zynische Motto: „Rette sich, wer kann.“ Zur Verdeutlichung: 2003 gab es bei einem solchen Brand in einem Tiefbahnhof in Südkorea 197 Tote, 4. Der extrem ausgelastete Tiefbahnhof setzt, um funktionsfähig sein zu können, eine Pünktlichkeit voraus, die die Bahn in den letzten Jahrzehnten noch nie erreicht hat.
Der denkmalgeschützte alte Kopfbahnhof in Stuttgart dagegen ist nach einer Untersuchung von Stiftung Warentest vom Februar 2011 schon jetzt der pünktlichste Großstadtbahnhof Deutschlands mit den wenigsten betriebsbedingten Verspätungen. Er könnte heute schon 54 Züge mit integriertem Taktfahrplan abfertigen. Wenn er ertüchtigt werden würde, wären es 72.
Und dies zu einem Bruchteil der immensen Kosten und Risiken des Tiefbahnhofs. Das Planungsbüro Vieregg-Rössler kommt auf 600 Mio ¤ Kosten für den Kopfbahnhof. Warum in aller Welt soll dieser gut funktionierende und relativ billig zu ertüchtigende Bahnhof abgerissen werden?
über dies alles lässt uns Peter Reinhardt im Ungewissen. Dafür erfahren wir, dass OB Schuster, das Mathegenie, weiß, wie viele 100 Euro Scheine übereinander so hoch wie das Ulmer Münster sind. Toll! Das Mathegenie verrät uns allerdings nicht, wie viel sein „bestgeplanter“ Chaosbahnhof denn nun wirklich kosten wird. Das wissen weder er, noch Peter Reinhardt, his master’s voice. Sie müssen ihn ja nicht bezahlen.
Eberhard Feucht, Wertheim
Kreisrat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fränkische Nachrichten
25. Oktober 2011