Die Zukunft der Schullandschaft
Zu einem Diskussionsabend über die Zukunft der baden-württembergische Schullandschaft hatte der Wertheimer Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen am vergangenen Donnerstag ins Tauberhotel Kette eingeladen. Referentin des Abends war Brigitte Schmid. Schmid ist Mitglied im Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg und gehört als zweite Bezirksvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Südwürttemberg zudem dem Landesvorstand der Bildungsgewerkschaft an.
Zu Beginn ihres Vortrags stellte die Gymnasiallehrerin anhand von Datenmaterial des Statistischen Landesamtes die zu erwartende Entwicklung der Schülerzahlen in Baden-Württemberg dar. Demnach werde die Zahl von Schülerinnen und Schülern an baden-württembergischen Schulen bis zum Schuljahr 2012/2013 aus demographischen Gründen um etwa 20 Prozent sinken. Im Hinblick auf die verschiedenen Schularten werde dies besonders für die Hauptschulen einschneidende Veränderungen bedeuten. Im Landesschnitt erwarten die Statistiker für diese Schulform einen Rückgang der Schülerzahlen von 20,2 Prozent, während den Hauptschulen im Main-Tauber-Kreis gar ein Rückgang von 23 Prozent vorausgesagt wird. Was für einen Flächenkreis wie den Main-Tauber-Kreis angesichts der teilweise großen räumlichen Streuung der einzelnen Schülerinnen und Schüler bereits eine große Herausforderung bedeute, werde durch eine weitere Einflussgröße verschärft, die die Schulstatistiker in ihren Zahlen nicht berücksichtigt hätten: Die Übertrittsquote, also die Verteilung der Schüler auf die verschiedenen Schularten nach Beendigung der Grundschule, gehe seit Beginn ihrer Aufzeichung stets zu Lasten der Hauptschulen. Die Kurve der Übertritte auf die Hauptschule sei stetig fallend, während die Übertritte auf das Gymnasium stetig ansteigen würden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die schrumpfende Zahl der Hauptschüler noch drastischer ausfallen werde, was die Referentin zu dem Schluss kommen ließ: „Die Hauptschule wird es spätestens im Jahr 2020 nicht mehr geben.“ Immer weniger Schüler bedeuteten auch immer weniger Lehrer. Schulschließungen seien dann in vielen Fällen unausweichlich.
Um jedoch nicht bei der Beschreibung dieses düsteren Bildes stehen zu bleiben, hätten die Grünen und viele andere progressive Bildungsverbände Konzepte entwickelt, mit denen sich dieser Entwicklung produktiv begegnen ließe. Wenn man die Zukunftsfähigkeit unserer Schullandschaft gewährleisten will, dann muss man das dreigliedrige Schulsystem zugunsten eines integrativen Schulmodells in der Ausprägung einer neunjährigen Basisschule abschaffen, stellte die Schulpolitikerin fest.
Schmid erkennt dabei derzeit eine immer stärker werdende Bewegung von unten, die diese integrativen Schulmodelle einfordere. Als Beispiele nannte sie von den Schulen ausgehende Bestrebungen in den Regionen Aachen und Waldshut, die von Kultusminister Rau abgebügelt worden seien. Ein ganz aktuelles Beispiel liefere auch der Brief von fast 100 Hauptschulleiterinnen aus dem Kreis Ravensburg und dem Bodenseekreis, die vom Kultusministerium eine Abkehr von der Dreigliedrigkeit fordern.
Das starre Festhalten der CDU/FDP-Landesregierung an den drei verschiedenen Schularten ist für die Grünen dabei unverständlich. Denn keineswegs sei es so, dass integrative Schulmodelle eine Besonderheit darstellen würden. Vielmehr sei das deutsche System der Sortierung ein europäischer Sonderweg aus der Zeit der Ständegesellschaft des ausgehenden 19. Jahhrunderts. Eine Rechtfertigung des dreigliedrigen Schulsystems werde immer nur im innerdeutschen Vergleich angetreten, den internationalen Vergleich scheue man ganz offensichtlich. Die Pisa-Sieger aus Skandinavien hätten allesamt integrative Schulmodelle und setzten damit auf gemeinsames Lernen, statt auf Sortierung. Deutschland landete in der internationalen Vergleichsstudie nur im Mittelfeld.
Ein weiteres bislang nicht gelöstes Problem sei die soziale Selektion in unserem Schulsystem. Der Bildungserfolg würde in keinem anderen Land Europas so stark von der sozialen und ethnischen Herkunft abhängen, wie in Deutschland. Dabei belegten Studien, dass sich diese soziale Schere mit dem Übertritt auf die heute weiterführenden Schularten Hauptschule, Realschule, Gymnasium extrem weit auftue. Bei CDU und FDP seien Problemlösungsversuche für dieses Gerechtigkeitsdefizit noch immer unauffindbar.
Beide Probleme, sowohl das demographische, als auch das soziale, lassen sich nach Überzeugung der grünen Schulpolitikerin mit der Einführung eines integrativen Schulmodells lösen: „Die Basisschule in kommunaler Verantwortung ist eine Reform, die im Sinne der Subsidiarität dezentralisiert, entbürokratisiert und mehr Demokratie in die Schule bringt. Zudem ist es für den ländlichen Raum besser, eine Schule für alle am Ort zu haben, als drei Schularten, die nacheinander geschlossen werden müssen, weil die Schüler fehlen.“ Es folgte eine lebhafte Diskussion über die konkrete Ausgestaltung der Schulreform, die die Grünen in Baden-Württemberg derzeit inhaltlich konkret ausgestalten und dann beschließen wollen.
Stadtrat Richard Diehm und Kreisrat Eberhard Feucht dankten Schmid abschließend für ihre Ausführungen. Beide hätten wichtige Anregungen für ihre kommunalpolitische Arbeit mitnehmen können.
© Fränkische Nachrichten – 24.03.2007